Hormontherapie gestern und heute
Ein Resümee: Darf ich nach dem Abbruch der amerikanischen WHI-Studie noch Hormone nehmen?
Nachdem sich inzwischen die Aufregung der letzten Monate um die Hormonersatztherapie gelegt hat, ist dennoch bei vielen Frauen eine tiefe Verunsicherung um Nutzen und Risiken ihrer Hormonbehandlung geblieben. Viele Anfragen, die mich zurzeit erreichen, habe in etwa folgenden Wortlaut: "Ich bin zufrieden und beschwerdefrei mit meiner Hormonbehandlung, weiß aber nicht, ob ich die Hormone weiter nehmen darf." Die Häufigkeit der Fragen ist Grund genug, sich diesem Thema noch einmal zu widmen und kritisch Bilanz zu ziehen.
Zunächst noch einmal die wichtigsten Facts in aller Kürze:
Unter einer HRT (Hormonersatztherapie) steigt tatsächlich das Thromboserisiko, und zwar um 100 Prozent! Von 10.000 Frauen erleiden pro Jahr mit HRT 34 und ohne 16 eine Thrombose. 8 Frauen erleiden jährlich mit HRT zusätzlich eine Lungenembolie. Das sich mit dem Rauchen das Thromboserisiko potenziert, wissen Sie sicher längst. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber immer wieder beeindruckend. D.h. man sollte in jedem Falle vor Beginn einer Hormontherapie das individuelle Thromboserisiko kritisch prüfen. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt erreicht, endgültig mit dem Rauchen auf zu hören.
Des Weiteren steigt unter einer HRT das Herzinfarktrisiko um 29 Prozent und das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, um 41 Prozent. Dies ist zwar relativ betrachtet sehr viel, wenn man sich die absoluten Zahlen anschaut, sieht die Sache aber doch anders aus. Von 10.000 Frauen erleiden pro Jahr mit HRT 38 und ohne 30 einen Herzinfarkt. 8 Frauen erleiden jährlich mit HRT zusätzlich einen Schlaganfall.
Das Brustkrebsrisiko steigt um 26 Prozent, das bedeutet 8 zusätzliche Erkrankungen auf 10.000 Frauen. Beim Darmkrebs zeigt sich ein umgekehrtes Bild: 6 Erkrankungen weniger unter 10.000 Hormonanwenderinnen. Hier sinkt das Risiko um 37 Prozent. Außerdem ist eine Hormontherapie in der Lage, das Osteoporose-Risiko zu senken, und zwar um 34 Prozent. 5 Frauen weniger erlitten einen Bruch des Hüftknochens.
Soviel noch einmal zu den Zahlen. Wichtig bei der Interpretation dieser Zahlen ist zu wissen, dass die Studie von Herzspezialisten und nicht von Frauenärzten durchgeführt wurde. Diese Herzspezialisten wollten eigentlich beweisen, dass Hormone, vorbeugend genommen, vor einem Herzinfarkt schützen. Das tun sie nicht.
Dies ist und war aber auch nie ein Grund, in Deutschland eine Hormontherapie zu verschreiben. Bei uns kommt eine Hormontherapie zur Behandlung von starken Wechseljahresbeschwerden zum Einsatz (und zur Osteoporose-Prophylaxe).
Ich denke, das Entscheidende ist die Frage: Wie geht es Ihnen und wie fühlen Sie sich? Wenn die Hormone Ihnen wieder einen Streich spielen und die Wechseljahresbeschwerden nachhaltig Ihre Lebenslust und Lebensqualität beeinträchtigen, ist der Einsatz einer Hormontherapie durchaus gerechtfertigt.
Das bedeutet: Bevor Sie sich gemeinsam mit Ihrer Gynäkologin/ Ihrem Gynäkologen für oder gegen eine Hormonbehandlung entscheiden, sollten Sie eine individuelle "Nutzen-Risiko-Bilanz" erstellen: Was bringt mir eine Hormonbehandlung und wo liegen meine persönlichen Risikofaktoren?
Hormone sind ein potentes und differenziertes Therapeutikum, dessen Einsatz wohl überlegt sein will. Die Therapie muss auf Ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sein. Sie sollten also auf keinen Fall die kleinen Pillen mit der guten Freundin teilen, so wie früher schon mal "die Pille" getauscht oder ausgeliehen wurde. Weiterhin gilt heute für die Hormonersatztherapie, was bereits seit gestern für die Pille gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Der Trend geht eindeutig zu immer niedrig dosierten Präparaten, die nur noch 1 mg Östradiol enthalten. Es macht auch durchaus Sinn, zunächst mit einem individuell möglichst niedrig dosierten Präparat zu beginnen und nur im Bedarfsfall auf ein stärkeres Präparat umzusteigen.
Eine weitere wichtige Frage ist, wie lange eine Hormontherapie fortgeführt werden sollte. Einfache Antwort: So lange wie nötig! Das Brustkrebsrisiko, vor dem wohl jede Frau am meisten Angst hat, steigt erst nach einem Einnahmezeitraum von 5 Jahren an. Dies ist ein günstiger Zeitpunkt, die Hormontherapie erneut in Frage zu stellen. Brauche ich die Hormone wirklich noch?
Sie sollten jedoch nicht den Fehler machen, Ihre Hormonbehandlung von heute auf morgen zu beenden. Denn dann treten mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit, unabhängig vom Alter, erneut Wechseljahresbeschwerden auf. Günstiger ist es, die Hormontherapie "auszuschleichen", d.h. Sie halbieren Ihre Tabletten oder nehmen nur noch jeden 2. Tag eine Tablette für die Dauer von ca. 3 Monaten. Danach beenden Sie versuchsweise die Hormoneinnahme. Falls Sie unterwegs merken, dass Sie erneut unter starken Beschwerden leiden, können Sie jederzeit mit der Einnahme der Tabletten wieder beginnen. Hier sei also ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einem Überwiegen des Nutzens einer solchen Behandlung die Fortführung durchaus gerechtfertigt sein kann. Ein paar Jahre später könnten Sie dann den nächsten Auslassversuch starten. Wichtig hierbei ist, bewusst eine Entscheidung zu treffen und nicht etwas fort zu setzen, weil es schon immer so war.
Ich denke, darum geht es - bei der Hormontherapie wie auch bei vielen anderen Fragen und Entscheidungen im Leben: Informieren Sie sich und treffen Sie dann bewusst Ihre Wahl, je nach Ihren ganz persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Es geht um Sie.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Dr. med. Gabriele von Villiez